Die Proletarische Kulturrevolution und der Marxismus der Neuen Bourgeoisie

VORTRAG ALS PDF

Ein Vortrag von Ulrich Knaudt auf dem Arbeitstreffen der communist correspondence bloggers am 16.07.2016 in Leipzig

Ausgangspunkt ist eine Rückschau auf die Das-Kapital-Neu-Lesen-Bewegung Anfang dieses Jahrhunderts und die Frage, ob diese Bewegung in Gestalt der heute nicht mehr existierenden Marx-Gesellschaft als künftiges Muster für die Arbeit am Klassenkampf und seinem Begriff zu gebrauchen wäre. Dies schon mal deshalb nicht, weil sie es bewußt unterlassen hat, die neue Lesart des Marxschen Kapital mit der Geschichte der Klassenkämpfe des 19. und 20. Jahrhunderts zu verbinden, die selbst wiederum gegen den Strich hätte gelesen werden müssen – als Geschichte der Konterrevolutionen. Eine so verstandene Geschichte der Klassenkämpfe unterscheidet sich grundsätzlich von ihren akademischen Lesarten und dem akademischen Marxismus insgesamt. Außerdem wurde nie die Frage beantwortet, warum gerade das Kapital und nicht beispielsweise Lenins Was tun? neu gelesen werden sollten? Dahinter hatte die Hoffnung der marxistischen Intelligentsija gestanden, daß wenn sie ihr verknöchertes ZK zu einer neuen Lesart des Kapital hätte inspirieren können, sie damit hätte verhindern können, daß der Sozialismus in der DDR den Bach runter ging. Darüber hinaus wurde der Realitätsgehalt des DDR-Sozialismus von der Das-Kapital-neu-lesen-Bewegung so gut wie gar nicht in Frage gestellt. Der Jungakademiker, der so etwas vorhatte, verlor in der DDR wahrscheinlich seinen Job. Heute verliert dieser zwar nicht seinen Job; aber wenn er innerhalb der akademischen Agenda den Klassenkampf, so, wie wir ihn verstehen, auf seinen Begriff bringen wollte, sägte er sich kaum anders als in der DDR gegenüber seinen akademischen Konkurrenten den Ast ab, auf dem er sitzt.

Was bedeutet heute nach dem Ende dieser Bewegung für uns Das Kapital neu zu lesen?
1. daß es politisch zu lesen,
2. die Wissenschaft als politisch und die Politik als parteiisch zu verstehen und
3. das Kapital zum wesentlichen Bestandteil des Klassenkampfes zu machen ist.

Der Kapitalismus hat in der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise sein Innerstes nach außen gestülpt und das von Marx Über den Weltmarkt ungeschrieben gebliebene Buch der Menschheit unmittelbar auf die Haut geschrieben; ebenso versucht er seine Version des von Marx ungeschriebenen Buchs Über den Staat in die menschlichen Gehirne einzubrennen, um sie den Maschinengehirnen anzugleichen. Das Kapital muß nicht, wie viele Marxisten annehmen, den heutigen Kapitalismus einholen, sondern das genaue Gegenteil ist der Fall, weil der Kapitalismus immer noch dabei ist, Das Kapital einzuholen. Um diese Differenz genauer zu verstehen, muß Das Kapital kommunistisch gelesen werden. Um es kommunistisch zu lesen, müssen wir den Kommunismus ‚neu lesen‘ und ihn auf den Begriff des Kapitals bringen. Um diesen auf den Begriff des Kapitals zu bringen, müssen wir ihn auf den Begriff des Klassenkampfes bringen. Damit dies geschieht, muß im Begriff des Klassenkampfes die Auseinandersetzung zwischen Revolution und Konterrevolution auseinanderdividiert werden – eine für den CCB sich kollektiv stellende theoretische Aufgabe mit einer ungemein praktischen Bedeutung.

Unsere praktisch zu lösende Aufgabe besteht darin,
– die Kommunistische Korrespondenz aufzubauen
– darin eine Aufgabenteilung zu organisieren
– Spontaneität in Bewußtheit zu verwandeln;
unsere theoretische Aufgabe,
– die herrschende Geschichtsschreibung der alten und Neuen Bourgeoisie umzuschreiben;
und schließlich unsere politische Aufgabe, – anstatt eine weitere Partei zu gründen, Partei zu sein um (eine Tages) Partei zu werden.

Rückblickend auf den am 10.07.2002 vor der Sozialistischen Studiengemeinschaft in Frankfurt gehaltenen Vortrag ist heute festzustellen, daß sich die Diskussion von damals nicht wesentlich vom Fleck gerührt hat. Diese beschränkte sich mit der Rekonstruktion von Marx-als-Politiker auf einen Gegenentwurf zu dem vom Marxismus bevorzugten Marx als unpolitischen Kritiker der politischen Ökonomie, der uns darüber hinausgehend nichts weiter zu sagen gehabt hätte. Der Marxismus ist die Ideologie der Konterrevolution der Neuen Bourgeoisie, deren Durchsetzung spätestens mit dem 18. Brumaire des Josef Stalin auf das Jahr 1934 anzusetzen ist. Die Das-Kapital-neu-lesen wollende Bewegung, wollte der Verurteilung der Konterrevolution der Neuen Bourgeoisie möglichst aus dem Weg gehen. Mit Putins Ausspruch, Stalins Absetzung post mortem sei die größte Katastrophe des 20.Jahrhunderts, ist Stalins Bonapartismus in den großrussischen Großmachtchauvinismus übergegangen, der, von Putin und der westlichen Linken mit immer neuen Antifa-Mythen gefüttert, am Leben erhalten wird. Spätestens seit der Annexion von Teilen Georgiens und der Ukraine sind die Aussagen, die Marx und Engels zum Russischen Zarentum als Bollwerk der europäischen Reaktion gemacht haben, erneut bestätigt worden.

Die Frage, warum die Revolution der ‚Studentenbewegung‘ eine Kulturrevolution gewesen sein soll, bleibt nach wie vor unbeantwortet. Die Politik der ML-Parteien in der Nachfolge der ‚Studentenbewegung‘ war das genaue Gegenteil dessen, was ein Übergang zu einer proletarischen Kulturrevolution hätte sein können. Um als besonders ‚proletarisch‘ zu gelten, wurden die kulturrevolutionären Momente der ‚Studentenbewegung‘ von ihnen dagegen als Rückfall in das ‚kleinbürgerliche Konkurrenzdenken‘ verleumdet. Aber wo sollten die Köpfe der proletarischen Kulturrevolution auch anderes herkommen? Die revolutionäre Intelligenz der 20er Jahre war zwischen den Mühlsteinen zweier Konterrevolutionen und der nachfolgenden sog. Systemauseinandersetzung der ‚Westens‘ mit dem ‚Realen Sozialismus‘ zermahlen worden. Auch darf nicht vergessen werden, daß die ‚Studentenbewegung‘ ihre Existenz als revolutionäre Bewegung der Stasi-Provokation vom 2. Juni 1967 verdankt, (die dann der Neuen Bourgeoisie mächtig auf die Füße gefallen ist).

Der revolutionären Intelligenz der ‚Studentenbewegung‘ war also nicht nur das Proletariat abhanden gekommen. Sie war mit der Hypothek des Nationalsozialismus und der deutschen Verhältnisse überbelastet. Zu beidem war ihr nicht allzuviel eingefallen. Wie mit dieser Hypothek überhaupt umzugehen gewesen wäre, hätte sie den Marxschen Frühschriften entnehmen können, wenn sie diese mit den deutschen Bauernkriegen als Ausgangspunkt politisch gelesen und die in den Frühschriften vollzogene radikale Religionskritik als Antithese zur revolutionären Konterrevolution Preußens in den ‚Befreiungskriegen‘ gegen Napoleon und als Springpunkt zur proletarischen Kulturrevolution verstanden hätte. Dieser qualitative Sprung ist 1968 nicht gelungen bzw. erst gar nicht erfolgt. Anstelle der notwendigen Kritik an den deutschen Verhältnissen und an der revolutionären Konterrevolution von den ‚Befreiungskriegen‘ bis zum Nationalsozialismus ist ‚die Studentenbewegung‘ im Sumpf der marxistischen Linken gelandet und hat den Weg der Konterrevolution in Deutschland eingeschlagen.

Kategorien:Allgemein

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